Vor fast genau fünf Jahren lag er da, tot am Strand. Rotes Shirt, blaue Hose, das Gesicht leicht im Sand vergraben. Stunden zuvor war er mit seiner Familie und einem hoffnungslos überfüllten Gummiboot im Mittelmeer untergegangen und ertrunken. Das Foto des dreijährigen Alan Kurdi, dem toten Flüchtlingskind an der türkischen Mittelmeerküste, ging um die ganze Welt.
Als „vorhersehbare Katastrophe“ betitelt Erwin Feucht vom Arbeitskreis Asyl in Balingen heute die Zustände einiger Flüchtlingscamps der europäischen Brennpunkte Italien, Spanien, Griechenland.
Das Bild des toten Flüchtlingskindes aus 2015 stünde dabei sinnbildlich für die aus seiner Sicht unzureichende humanitäre Hilfe seitens europäischer Länder. Diese Hilfe wollen Feucht und der Arbeitskreis Asyl auf kommunaler Ebene anbieten – als sogenannter „Sicherer Hafen“ für Flüchtlinge. Dabei ist der Vorstoß kein neuer.
Die Vorgeschichte des Hafens
Schon im März schrieb Balingens katholischer Pfarrer Wolfgang Braun, der auch zum Arbeitskreis Asyl gehört, einen Brief an Landrat Günther-Martin Pauli und die Vorsitzenden der Fraktionen des Kreistags. Darin betont er: „Es wäre keine sachfremde Aktion mit ungewissem Ausgang, sondern eine definierbare und machbare humanitäre und christliche Herausforderung für unseren Landkreis.“
Hinter der Initiative Sicherer Hafen steckt im Prinzip die freiwillige Verpflichtung einer Kommune, die Seenotrettung aktiv zu befürworten. Auf der Website der Aktion steht hierzu: „Sichere Häfen fordern im Namen ihrer Bürger die Entkriminalisierung der Seenotrettung und neue staatliche Rettungsmissionen.“
Sichere Häfen sollen sich zudem für neue Programme zur legalen Aufnahme geflüchteter Menschen stark machen – und selbst mehr Kompetenzen fordern, um auch eigenständig Menschen helfen zu können. Sie sollen „deutlich“ signalisieren, dass sie bereit sind, mehr Menschen als bisher aufzunehmen.
Die Resonanz auf den Brief von Pfarrer Braun fiel seinerzeit aber eher ablehnend aus – für ihre Gemeinderatsfraktionen lehnten Reinhold Schäfer (Freie Wähler), Helmut Reitemann (CDU) und Dr. Dietmar Foth (FDP) den Vorstoß des Arbeitskreises ab. Der O-Ton dabei: Ein Sicherer Hafen würde nur wenig Sinn machen, da es schlichtweg „Symbolpolitik“ sei und die eigentlichen Akteure in der Flüchtlingspolitik die Länder und der Bund seien.
„Wir haben kein allgemeinpolitisches Mandat und sollten nicht anfangen, hier aus vermeintlich moralischer Not von klarer Kompetenzverteilung abzuweichen“, schrieb beispielsweise Dr. Dietmar Foth in seiner Antwort. Kreistage und Gemeinderäte seien schlichtweg nicht die richtige Adresse.
Foth beruft sich hierbei auch auf Artikel 28 des Grundgesetzes. „Die Gemeinde darf über allgemeinpolitische Themen nicht entscheiden und sich hierzu auch nicht äußern. Es fehlt beim Thema Sicherer Hafen ein spezifischer örtlicher Bezug“, formuliert der Kreisrat aus.
Sein Kollege Reinhold Schäfer schließt sich dieser Auffassung in seinem Antwortbrief an. „Unseren kommunalen Gremien fehlt die Zuständigkeit für eine direkte Aufnahme von Flüchtlingen, und diese Gremien sind somit nicht der richtige Adressat für Ihr Anliegen“, schrieb Schäfer. Man müsse die Aufgabentrennung zwischen Bund, Land und Kommune berücksichtigen.
„Die Erklärung des Zollernalbkreises zu einem Sicheren Hafen hat de facto keine Wirkung, denn ob Flüchtlinge aufgenommen werden oder nicht, entscheiden nicht die hiesigen Städte, Gemeinden oder Landkreise, sondern die Europäische Union und die Bundesregierung“, antwortete Helmut Reitemann im Namen seiner Partei. Der Zollernalbkreis sei jedoch bisher immer bereit gewesen, Flüchtlinge aufzunehmen und werde dies auch in Zukunft „sehr gerne“ sein.
Arbeitskreis-Asyl-Sprecher Erwin Feucht hat Verständnis für diese formaljuristische Argumentation. „Aber es auf andere Ebenen zu schieben, bringt ja auch nichts“, sagt er. Er ist es zudem leid, sein Anliegen immer wieder aufs Neue auszuformulieren. „Die Fakten liegen eigentlich auf dem Tisch, ich muss nicht ständig erklären, warum man humanitäre Hilfe leisten sollte“, sagt er.
Feucht erklärt sich die ablehnende Haltung anderer Fraktionen unter anderem mit einer gewissen Angst: „Viele fürchten sicherlich die Keule der AfD, wenn der Landkreis das Signal sendet, dass man offen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ist.“ Davor schreckt der Arbeitskreis Asyl jedoch nicht zurück. Erwin Feucht als Sprecher des Arbeitskreises bittet fortan um die Unterstützung der Bürger, Vereine oder Institutionen, die die Initiative auch unterstützen. „Ich maße mir kein Bürgerbegehren an, aber wenn es notwendig wird, ist es so“, sagt Feucht.
Dass der „Sichere-Hafen“-Vorstoß des Arbeitskreises auf breite Ablehnung im Gemeinderat und Kreistag stößt, ist für Feucht unverständlich. Er beruft sich hierbei besonders auf Landrat Pauli, der während der Flüchtlingskrise „mit Engagement und Herz vorausgegangen“ sei. Pauli sei einer, „der dahintersteht“.
Auf Anfrage hieß es gestern aus dem Landratsamt auch mit Verweis auf die LEA in Meßstetten und das Engagement des Landkreises für ein Schulprojekt in einem Flüchtlingslager im türkisch-syrischen Grenzgebiet: „Der Zollernalbkreis wird selbstverständlich im Rahmen seiner Möglichkeiten geflüchtete Menschen aufnehmen.“ Ganz aktuell habe sich der Landkreis gegenüber dem Ministerium für Soziales und Integration bereiterklärt, kurzfristig bis zu zehn unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen.
Bei der Initiative „Sicherer Hafen“ jedoch fehle ein spezifischer örtlicher Bezug. „Der Kreistag ist nicht das richtige Gremium, um allgemeinpolitische Fragen zu entscheiden.“ Hier bedarf es dringend einer Klärung auf EU- und Bundesebene, so Pressesprecherin Marisa Hahn.
Wie man helfen kann
Wer den Arbeitskreis Asyl unterstützen möchte, kann eine Mail an ak-asyl-balingen@mail.de oder einen Brief an die Benzstraße 3 in Balingen senden. „Aus diesem Unterstützerpool heraus werden dann weitere Aktionen kommen“, blickt Feucht in die Zukunft. Am Ende gehe es nicht um die Symbolik, sondern „schlicht und ergreifend um das Leben von Menschen“.